Schreibs Dir hinter die Löffel…
von Ezri (16.04.2015)
„Du ahnst ja gar nicht, was mir heute passiert ist“, begrüßte ich meine Freundin Stefanie, die das kleine Café soeben betreten hatte. Ich konnte es kaum abwarten, bis sie endlich Platz genommen hatte und die Kellnerin unsere Bestellung entgegengenommen hatte. „Hallo erstmal, laß mich doch erstmal hier sein. Und überhaupt, was ist mit Deinem Ohr passiert?“ Endlich saß meine Freundin am Tisch. „Na das will ich Dir doch schon die ganze Zeit erzählen“, erwiderte ich ungeduldig. „Also das kam so“, und ich drehte meinen Kopf so, dass meine Freundin das Pflaster, welches mein Ohr unschön zierte sich genau anschauen konnte, „ alles fing damit an, dass ich heute morgen einen kleinen Plausch mit meinem Kaffeelöffel hatte.“ Einen Plausch mit Deinem Kaffeelöffel? Du willst mich wohl auf den Arm nehmen.“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Na nun warte doch erstmal ab, was ich Dir zu erzählen habe.“
Heute Morgen schon saß ich genau hier in diesem kleinen Café und hatte mir eine heiße Schokolade mit Sahne bestellt. Ich liebe es, die heiße Schokolade durch die kühle Sahne zu trinken. Als die Sahne endgültig geschmolzen war, rührte ich gedankenversunken in der Schokolade herum. Plötzlich hörte ich ein leises hmmm und dann ein Oh, tut das gut… . Ich drehte mich um, um herauszufinden, wem diese angenehme Stimme gehörte, aber bis auf die Kellnerin war das Café leer. Es war noch zu früh für die meisten Gäste. Während ich darüber nachdachte, ob ich mir die Stimme nur eingebildet hatte, hörte ich wieder ein genießerisches hmmm. Ich nahm den Löffel aus der Schokolade und steckte ihn in den Mund um die süße Schokolade von ihm abzulecken, diesmal vernahm ich ein wohliges gedämpftes Ohhh und zwar direkt aus meinem Mund. Ich war mir aber sicher, dass ich keinen Laut von mir gegeben hatte. Erschrocken zog ich den Löffel aus dem Mund heraus. „Schade, ich hatte die Liebkosung Deiner Zunge sooo genossen“, hörte ich nun schmollend die Stimme sprechen. „Wer… wer redet denn da.. ?“ flüsterte ich verunsichert. „Na ich“, kam spontan und keß die Antwort, „dein Kaffeelöffel.“ Erschrocken ließ ich den Löffel fallen. „Autsch.“ „Entschuldigung.“ Verstohlen schaute ich mich nach der Kellnerin um, aber sie hatte sich in die Café-Küche zurückgezogen und hatte nicht mitbekommen, dass sich mein Kaffeelöffel mit mir unterhielt. Vorsichtig nahm ich den blankgeleckten Löffel in die Hand und hielt ihn mir prüfend vor die Augen. „Gefall ich Dir?“ Normalerweise sieht man ja sein eigenes Gesicht auf den Kopf gestellt in der Innenseite eines Löffels. In diesem hier schaute ich in ein freundliches Gesicht mit angenehmen Zügen. „Ja, ich finde“, antwortete ich zögerlich, „Du siehst gut aus… richtig nett sogar.“ „Danke, Du siehst auch nicht gerade schlecht aus. Aber Du solltest mal zum Friseur gehen. Deine Frisur sieht ja grauselig aus“ Na der Löffel war mir ja ein freches Früchtchen, aber er hatte Recht, ich hatte mir für den Tag tatsächlich vorgenommen zum Friseur zu gehen. „He, werd nicht frech.“ Antwortete ich gespielt ärgerlich. „’tschuldigung, ich wollte Dich nicht verärgern.“ „Ist schon gut, Du hast ja Recht, ich wollte in der Tat heute Vormittag zum Friseur gehen. Zu dem unten an der Hauptstraße, der hat gerade ein Angebot für Kurzhaarfrisuren.“ „Oh nein, geh da bloß nicht hin.“ „Wieso das denn nicht?“ „Gestern erst hatte mir die Kuchengabel erzählt, dass die Friseuse von ihrem Freund verlassen wurde. In ihrem Frust hat sie drei Stück Sahnetorte gegessen. Weißt du was das heißt, drei Stück?“ „Nein, was denn?“ „Na dass sie heute in einer noch schlechteren Stimmung ist wie gestern. Jetzt kommt zu ihrem Liebeskummer auch noch das schlechte Gewissen wegen ihres Gewichtes hinzu. Also mein Rat, geh zu einem anderen Friseur.“ „Ich hab Dich aber nicht um Deinen Rat gefragt.“ Irgendwie war ich jetzt doch etwas ärgerlich, dass mir so ein dummer kleiner Kaffeelöffel sagen wollte, was ich tun oder lassen sollte. „Ich werde es mir überlegen“, antwortete ich diplomatisch und ärgerte mich schon wieder, diesmal über mich selber, dass ich mich von einem gebogenen Stück Metall dazu verleiten ließ ihm gegenüber höflich und taktvoll zu sein. „Na gut, Du musst es ja wissen.“ Er schien zu ahnen, dass ich nicht auf seinen Rat hören wollte und ich wechselte das Thema. „Wie kommt es eigentlich, dass wir uns unterhalten können?“ Wollte ich neugierig wissen. „Mir war halt gerade langweilig, auf dem Tisch ist ja kein anderes Besteck mit dem man sich hätte unterhalten können, und da… “. „Ach, und da dachtest Du, Du kannst dich ja mal herablassen und Dich mit einem Menschen unterhalten?“ „Genau so ist es.“ „Kann denn jedes Besteck reden?“ „Naja, eigentlich schon, aber die Gabeln sind nicht sehr kommunikativ und wenn, dann sticheln sie nur rum, Messer sind entsetzliche Aufschneider und wenn sich Stäbchen mit einander unterhalten versteht man nur chinesisch.“ Bei dieser Bemerkung musste ich amüsiert schmunzeln. „Und die Löffel?“ „Tjahaa, wir sind schon etwas besonderes, denn wir sind wirklich sehr vielseitig, natürlich unglaublich klug und weltberühmt.“ „Sooo?“ „Ja, paß mal auf, dem Hasen helfen wir beim Hören, ungelenken Menschen helfen wir in zu enge Schuhe und Stiefel zu Gunsten der menschlichen Eitelkeit, dem Koch bei der Zubereitung erlesener Genüsse und dem Zuckerbäcker beim Herstellen feinster Leckereien. Der Mensch mag uns Löffel sogar so sehr, dass er eine *hüstel* kuschelige Stellung nach uns benannt hat.“ Ich könnte schwören, dass der kleine Kaffeelöffel nach der letzten Bemerkung leicht errötete. „Hmm“, machte ich nachdenklich, „Du hast Recht. Ihr Löffel leistet wahrlich gute Arbeit, man sollte Euch dafür mal öffentlich belobigen, oder gar ein Denkmal setzen.“ „Genau, das finde ich auch“, pflichtete mir der kleine Kaffeelöffel bei. „Du liebe Güte, es ist ja schon so spät. Ich muß los.“ Erschrocken stellte ich fest, dass während des kleinen Plausch mit dem Kaffeelöffel schon eine Menge Zeit vergangen war. Hastig schaute ich mich nach der Kellnerin um, während ich demonstrativ mein Portemonnaie auf den Tisch legte. Ganz nach alter Gewohnheit schlürfte ich noch den letzten Schluck heiße Schokolade aus der Tasse und leckte genüßlich den Löffel ab und wieder erscholl ein gedämpftes und genüssliches Ohh, ist das schööön. Hastig und errötend zog ich den Löffel wieder aus meinem Mund. „Hee, Du musst Dich nicht genieren. Erstens machst Du das schon seit ewigen Zeiten und zweitens ist das meine absolute Lieblingsbeschäftigung, von einer freundlichen Zunge einer freundlichen Dame liebkost zu werden.“ Ich wollte gerade was erwidern, als sein Gesicht in der Löffelinnenfläche verschwand und mein eigenes kopfstehendes Gesicht erschien. „3,80 macht das.“ Ich schaute hoch und geradewegs in das freundliche Gesicht der Kellnerin. „Oh ja“, hastig kramte ich ein paar Münzen aus meinem Portemonnaie hervor, „stimmt so.“ „Mit geübten Handgriffen räumte sie das benutzte Geschirr ab und ich sagte freundlich: „Auf Wiedersehen.“ Und hoffte dabei, dass sie nicht bemerken würde, dass ich den kleinen Kaffeelöffel heimlich in meine Handtasche gesteckt hatte.
Als ich auf dem Frisierstuhl Platz nahm, hatte ich die Warnung des kleinen Kaffeelöffels bereits wieder vergessen. Unter den geschickten Händen der Friseurin entspannte ich, als sie mir die Haare wusch und ich genoß das Klappern der Schere, die emsig meine Haare schnitt. Gerade als ich darüber nachdachte, ob man sich auch mit der Schere unterhalten konnte passierte es. Ein scharfer Schmerz durchfuhr mein rechtes Ohr. In großen dunkelroten Tropfen troff mein Blut aus dem kleinen Spalt in meinem Ohrrand. Die Friseurin hatte mich tatsächlich geschnitten. Der kleine Kaffeelöffel hatte Recht behalten, ich hätte zu einem anderen Friseur gehen sollen. Nervös und aufgeregt versuchte die Friseurin die Blutung zu stoppen, aber erst nachdem ich zwei Handtücher durchgeblutet hatte, hatte sie ein Pflaster gefunden und es mir auf mein Ohr geklebt.
„Tja, und das Pflaster siehst Du ja jetzt, Stefanie“, beendete ich meine Geschichte. „Und das soll ich Dir glauben?“ Schmunzelte sie vergnügt. „Na meinst Du, ich hab mir aus Jux und Tollerei dieses hässliche Pflaster auf mein Ohr geklebt?“ „Nein, ich meinte nicht die Geschichte mit Deinem Ohr, sondern die mit dem Löffel.“ „Glaub es, oder glaub es nicht“, lächelte ich geheimnisvoll, „Ich für meinen Teil habs mir hinter die Löffel geschrieben, dass ich künftig auf meinen Löffel hören werde.“ Und während ich das sagte schaute ich in die Löffelinnenfläche, von wo aus mir der kleine Kaffeelöffel zuzwinkerte. Irgendwie schien meine Freundin etwas gesehen zu haben, denn ihr Lächeln verlor an Sicherheit. Sah sie das Blinzeln, oder nur ein Lichtreflex? Halb ärgerliche wischte sie mit der Hand durch die Luft. „Ach Du mit Deinen Geschichten immer… .“
Nun, wer diese Geschichte nicht glaubt, der soll halt seinen eigenen Löffel fragen, oder mich besuchen kommen. Mein kleiner Kaffeelöffel redet zwar nicht mit jedem, genau genommen redet er nur mit mir, aber der scharfe Schnitt der Friseurschere in meinem rechten Ohr ist noch immer deutlich zu sehen.